Link zur kleinen Anfrage: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/290/1929074.pdf
Grüne fragen nach künstlerischen Therapien
Gesundheit/Kleine Anfrage - 04.05.2021 (hib 596/2021)
Berlin: (hib/PK) Mit künstlerischen Therapien in der psychotherapeutischen Versorgung befasst sich die Grünen-Fraktion in einer Kleinen Anfrage (19/29074). Die Abgeordneten wollen wissen, welche Chancen nach Ansicht der Bundesregierung in der Kunst- und Musiktherapie liegen.
Herausgeber
Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten
Verantwortlich: N.N.
Redaktion: Alexander Heinrich (V.i.S.d.P.), Claudia Heine, Claus Peter Kosfeld, Hans-Jürgen Leersch, Johanna Metz, Kristina Pezzei, Sören Christian Reimer, Helmut Stoltenberg, Alexander Weinlein
Herausgeber "heute im bundestag" (hib)
Und hier der gesamte Text der kleinen Anfrage:
Deutscher Bundestag Drucksache 19/29074 19. Wahlperiode 27.04.2021
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Janosch Dahmen, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Anna Christmann, Kai Gehring, Erhard Grundl, Ulle Schauws, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Margit Stumpp, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ansätze zur Professionalisierung und Expansion künstlerischer Therapien in der psychotherapeutischen Versorgung
Während in Kanada ein Museumsbesuch zur Therapie seelischer Erkrankungen verordnet werden kann (vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98705/Aer zte-in-Montreal-koennen-Besuche-in-Kunstmuseumverschreiben), gehören die Kunst- und Musiktherapien in Deutschland weder in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen noch sind sie fester Bestandteil der therapeuti- schen Versorgungslandschaft.
In der Kunsttherapie wird hauptsächlich mit Medien der bildenden Kunst gear- beitet. Durch sie können Patientinnen und Patienten unter therapeutischer Be- gleitung innere und äußere Bilder ausdrücken, ihre kreativen Fähigkeiten ent- wickeln und ihre sinnliche Wahrnehmung ausbilden (vgl. https://de.wikipedia.o rg/wiki/Kunsttherapie, abgerufen am 22. April 2021). So kann die Kunstthera- pie sowohl eine wichtige Ergänzung zu psychiatrischer und psychotherapeuti- scher Behandlung darstellen als auch als eigenständiges Therapieverfahren ein- gesetzt werden. Gleiches gilt auch für die Musiktherapie, die durch den Einsatz von Musik, Instrumenten, Tönen, Harmonien und durch das aktive Hören eine therapeutische Wirkung erzielen kann. Kunst- und Musiktherapien sind hilf- reich bei vielen psychischen Erkrankungen und können insbesondere dann ein- gesetzt werden, wenn sprachgebundene Verfahren an ihre Grenzen geraten, bei- spielsweise bei einer fortgeschrittenen Demenz (vgl. https://www.aerzteblat t.de/nachrichten/116639/Alzheimerexperten-warnen-vor-erneuter-krankmachen der-Isolation-demenzkranker-Menschen).
Nicht nur bei psychischen Erkrankungen können künstlerische Therapien an- gewendet werden, auch beispielsweise für Krebspatientinnen und Krebspatien- ten kann durch den kreativen Zugang zu den eigenen Gedanken die Verarbei- tung der Krankheit unterstützt werden (vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/2 12779/Onkologie-Uniklinik-Bonn-baut-Kunst-in-Krebstherapie-ein). Künstleri- sche Therapieformen können stationär oder ambulant sowie präventiv, rehabili- tativ oder akutmedizinisch angewendet werden. Als Teil von häufig interdiszi- plinären und multiprofessionellen Konzepten der psychosozialen Versorgung ist die Verrechnung bzw. Vergütung im stationären Fallpauschalensystem sowie im ambulanten Bewertungsmaßstab kompliziert und mit Hürden verbunden. In psychiatrischen Krankenhäusern oder stationären Rehabilitationseinrichtungen sind Kunst- und Musiktherapeutinnen und Kunst- und Musiktherapeuten bisher nicht durch die Personalverordnungen regelhaft vorgesehen. Die Kliniken oder Rehabilitationseinrichtungen entscheiden mancherorts beispielsweise für die Ergotherapie ausgewiesene Stellen durch Musik- oder Kunsttherapeutinnen und Kunst- und Musiktherapeuten zu besetzten. In medizinischen Leitlinien finden künstlerische Therapien bisher kaum Beachtung (vgl. Gühne et al., 2012, http s://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00115-011-3472-7). Die ambulante Kunst- oder Musiktherapie kann in Einzelfällen im Erstattungsverfahren abge- rechnet werden. In den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse sind sie bisher nicht aufgenommen worden.
In Deutschland ist die Berufsbezeichnung „Kunsttherapeutin“ bzw. „Kunstthe- rapeut“ oder „Musiktherapeutin“ bzw. „Musiktherapeut“ nicht geschützt, es gibt zudem kein einheitliches Berufsbild für Kunst- oder Musiktherapie und so- mit auch keine allgemeine Berufsvertretung, die zur Weiterbildung und Vernet- zung beiträgt sowie zur Interessenvertretung gegenüber der Politik auftritt (vgl. https://bagkt.de/wordpress/). Nur an wenigen öffentlichen und privaten Hoch- schulen und Akademien werden kunst- und musiktherapeutische Ausbildungen angeboten. Einzelne Fachhochschulen bieten für die künstlerischen Therapien sowohl Bachelor- als auch Masterstudiengänge an. Forschung findet bisher in geringem Umfang statt.
Um den Zugang zu einer Kunst- oder Musiktherapie für mehr Patientinnen und Patienten zu ermöglichen sowie einheitliche Qualitätsstandards zu etablieren, kommt der Bundesregierung eine steuernde Funktion zu, die sie aus Sicht der fragestellenden Fraktion bisher nicht ausübt.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Chancen liegen nach Kenntnis der Bundesregierung in der Kunst- und Musiktherapie, und wie trägt die Bundesregierung zur Etablierung kreativer Therapien bei?
2. Wie häufig und mit welchen Akteurinnen und Akteuren hat sich die Bundesregierung zu künstlerischen Therapien ausgetauscht?
3. Welche Nachweise zur Wirksamkeit der Kunsttherapie sind der Bundes- regierung bekannt?
4. Welche Nachweise zur Wirksamkeit der Musiktherapie sind der Bundes- regierung bekannt?
5. Für den Einsatz und den begleitenden Einsatz in welchen medizinischen Bereichen eignen sich nach Einschätzung der Bundesregierung kunst- und/ oder musiktherapeutische Maßnahmen nachgewiesenermaßen besonders?
6. Bei welchen psychischen Erkrankungen und Diagnosen und in welchen Altersgruppen wird nach Kenntnis der Bundesregierung Musik- oder Kunsttherapie angewendet und/oder als sinnvoll erachtet?
7. Wie bewertet die Bundesregierung Inhalt, Aussagekraft und Anzahl des aktuellen Standes von Studien zur Musik- und Kunsttherapie?
8. Welche Studien zu kreativen Therapien wurden von der Bundesregierung beauftragt und gefördert?
9. Welche und durch wen erstellte Qualitätsstandards und welche Leitlinien zur Anwendung von Kunst- und Musiktherapien bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung?
10. An welchen Hochschulen kann nach Kenntnis der Bundesregierung ein kunsttherapeutischer Abschluss erworben werden (bitte nach Bundeslän- dern aufschlüsseln)?
11. An welchen Hochschulen kann nach Kenntnis der Bundesregierung ein musiktherapeutischer Abschluss erworben werden (bitte nach Bundeslän- dern aufschlüsseln)?
12. Wie hat sich die Zahl der Hochschulen, an denen ein kunst- oder musikthe- rapeutischer Abschluss erworben werden kann, nach Kenntnis der Bundes- regierung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte nach Bundes- ländern aufschlüsseln)?
13. Wie hat sich die Zahl der Absolventinnen und Absolventen mit einem kunsttherapeutischen Abschluss nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte nach Bundesländern auf- schlüsseln)?
14. Wie hat sich die Zahl der Absolventinnen und Absolventen mit einem mu- siktherapeutischen Abschluss nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte nach Bundesländern aufschlüs- seln)?
15. Wie hat sich die Zahl der Einrichtungen, an denen eine kunst- oder musik- therapeutische Weiterbildung angeboten wird, nach Kenntnis der Bundes- regierung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt, und welche Berufs- gruppen nehmen diese in Anspruch (bitte nach Bundesländern aufschlüs- seln)?
16. Wie hat sich die Zahl der in Anspruch genommenen kunst- und musikthe- rapeutischen Weiterbildungen nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt, und welche Berufsgruppen nehmen diese in Anspruch (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?
17. Wie hat sich die Zahl der Leistungserbringer im Gesundheitswesen, die kunsttherapeutische Leistungen anbieten, nach Kenntnis der Bundesregie- rung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte nach Bundesländern sowie ambulantem und stationärem Sektor aufschlüsseln)?
18. Wie hat sich die Zahl der Leistungserbringer im Gesundheitswesen, die musiktherapeutische Leistungen anbieten, nach Kenntnis der Bundesregie- rung in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte nach Bundesländern sowie ambulantem und stationärem Sektor aufschlüsseln)?
19. Plant die Bundesregierung, auf die Festlegung von Qualitätsstandards der Kunsttherapie hinzuwirken?
Wenn ja, wie; und wenn nein, wieso nicht?
20. Plant die Bundesregierung, auf die Festlegung von Qualitätsstandards der Musiktherapie hinzuwirken?
Wenn ja, wie; und wenn nein, wieso nicht?
21. Plant die Bundesregierung, auf einheitliche Ausbildungsstandards und ein einheitliches Berufsbild sowie auf eine einheitliche Berufsbezeichnung von Kunsttherapeutinnen und Kunsttherapeuten sowie von Musiktherapeu- tinnen und Musiktherapeuten hinzuwirken?
Wenn ja, wie konkret; und wenn nein, wieso nicht?
22. Welche Gründe lagen nach Kenntnis der Bundesregierung für den Aus- schluss künstlerischer Therapien aus der Heilmittelrichtlinie des G-BA vor, und welche Kriterien waren nach Kenntnis der Bundesregierung für eine Aufnahme der Musik- und der Kunsttherapie in den Heilmittelkatalog nicht erfüllt (bitte auflisten)?
23. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Anerkennung und An- wendung der Kunsttherapie generell und im Rahmen der jeweiligen medi- zinischen Versorgungssysteme in anderen EU-Ländern und darüber hinaus international?
24. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Anerkennung und An- wendung der Musiktherapie generell und im Rahmen der jeweiligen medi- zinischen Versorgungssysteme in anderen EU-Ländern und darüber hinaus international?
Berlin, den 20. April 2021
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion